Die Windenergie steht in der Ostschweiz im Gegenwind: Auf Hügeln in Braunau TG und Wuppenau TG sowie in Oberegg AI könnten Windturbinen schon bald Strom für Tausende von Haushalten produzieren. Doch Anwohner laufen gegen die Projekte Sturm.
Im Prinzip stossen Windkraftanlagen in der Ostschweizer Bevölkerung auf Akzeptanz. Dies zeigte Ende 2015 eine Umfrage der Universität St. Gallen (HSG) im Auftrag der Kantone St. Gallen, Thurgau und Graubünden sowie des Bundesamts für Energie. Werden die Pläne aber konkret, schlägt die Akzeptanz vor Ort auch mal in Opposition um.
Dies zeigt sich derzeit in Wuppenau und Braunau bei Wil. Auf den Hügeln will die Firma Ennova, eine Partnerin der Genfer Stadtwerke, vier bis fünf Windturbinen bauen. Die rund 200 Meter hohen Windräder könnten Strom für 6600 Haushalte liefern. Windmessungen zeigten, dass das Potenzial vorhanden ist.
Noch bevor das Projekt im Detail bekannt ist, hat sich in Braunau und Wuppenau Opposition formiert. Gegner nutzten die Vernehmlassung zum kantonalen Richtplan, um sich gegen einen Windpark in ihrer Region zu wehren. Im Richtplan können Gebiete bezeichnet werden, die sich für Windenergieanlagen eignen.
Andrea Paoli, Leiter der kantonalen Abteilung Energie, findet die Kritik aus Braunau und Wuppenau voreilig. Zuerst brauche es konkret für diesen Standort Studien zu Infraschall (tiefe, für Menschen nicht hörbare Frequenzen), Gefahren für Zugvögel oder Auswirkungen auf Immobilienpreise, sagte Paoli der “Thurgauer Zeitung”.
Einen Schritt weiter ist das Projekt für zwei ebenfalls knapp 200 Meter hohe Windräder bei Oberegg in Appenzell Innerrhoden. Dort ist der Richtplan genehmigt. Die Anlage der privat finanzierten Appenzeller Wind AG könnte laut den Initianten ab 2019 sauberen Strom für 3500 Haushalte liefern.
Messungen seit Mitte 2015 zeigten laut dem Oberegger Unternehmer Adalbert Hospenthal, dass am geplanten Standort am Übergang vom Appenzellerland ins Rheintal starke Winde wehen. Die Anlage, die voraussichtlich 15 bis 17 Milionen Franken kostet, könne rentabel betrieben werden.
Neben fünf privaten Initianten beteiligten sich die “IG Appenzeller Naturstrom” und rund 70 weitere Personen aus der Region am Startkapital von etwa 500’000 Franken. Auch in Oberegg regt sich aber Widerstand von Anwohnern gegen das Projekt. So sei der Mindestabstand von 300 Metern zu bewohnten Häusern zu klein.
Zudem würden die Windräder die Landschaft verschandeln, und der Infraschall könne Tiere schädigen. Die Kritiker, unter ihnen der ehemalige Innerrhoder Regierungsrat Melchior Looser, wollen die Bewilligung des Projekts verhindern.
Bevor die beiden Windräder gebaut werden dürfen, braucht es einen Sondernutzungsplan und danach eine Baubewilligung. Derzeit prüfen die Behörden die Machbarkeit und die Umweltverträglichkeit. Man sei “auf einer Odyssee”, sagte Hospenthal zum komplizierten Bewilligungsverfahren.
Vorbild der Appenzeller Wind AG ist das Dorf Wildpoldsried im Allgäu in Süddeutschland. Dort wurden in einem Bürgerprojekt seit dem Jahr 2000 elf Windräder gebaut – mit Erfolg. Die Initianten aus Oberegg liessen sich vor Ort über das Projekt in Wildpoldsried informieren.
Anders als in der Schweiz, in der sich erst rund 35 Windräder drehen und im vergangenen Jahr 0,15 Prozent des Strombedarfs deckten, setzen die Nachbarländer Deutschland und Österreich viel stärker auf Windenergie. In Deutschland produzierten 2015 rund 26’000 Anlagen 13,3 Prozent des Stroms.
Neben grossen Offshore-Windparks an der Nordsee, deren Turbinen bis zu 8 Megawatt (MW) leisten, stehen auch in Süddeutschland – etwa in Bayern – Hunderte kleinerer Anlagen mit 2 bis 3 MW Leistung. Bewährt haben sich “Bürgerwindprojekte” mit Beteiligung lokaler Kleininvestoren.
Im Vergleich hinkt die Schweiz hinten nach. Die Energiestrategie des Bundes sieht vor, dass Windkraftwerke bis 2050 sieben bis zehn Prozent des Strombedarfs decken sollen. Das wäre rund 50 Mal mehr als heute. Um ein Atomkraftwerk in der Grösse Mühlebergs zu ersetzen, braucht es etwa 700 Winenergieanlagen.
Der bisher grösste Windpark in der Schweiz mit 16 Turbinen steht auf dem Mont Crosin und dem Mont Soleil im Jura. In der Ostschweiz dreht sich das stärkste Windrad in Haldenstein GR. Geplant, aber ebenfalls lokal umstritten, ist der Windpark Chroobach im Kanton Schaffhausen, ein Projekt der Elektrizitätswerke von Kanton und Stadt Schaffhausen.