Die Durchmesserlinie ist das grösste Bauprojekt in der Geschichte der Appenzeller Bahnen. Seit Anfang April wird am 700 Meter langen Ruckhaldetunnel, das Herzstück des Projekts, gebaut. Ein Augenschein auf der Baustelle mitten in einem Wohnquartier der Stadt St. Gallen.
Nach den Sprengungen am Nordhang des Ruckhaldetunnels kann man die Uhr stellen: Jeden Morgen um 7 Uhr und am Nachmittag um 14 Uhr detonieren im Tunnel je 130 Kilogramm Sprengstoff. Wenige Minuten später schlängelt sich die Appenzeller Bahn den Ruckhaldenhang hinauf. Dort wird heute noch ein Zahnrad benötigt, um die Steigung zu überwinden.
Sprengen ist die Königsdisziplin im Tunnel. Der Sprengmeister macht den letzten Kontrollgang, dann wird gezündet. Die Sicherheitsmassnahmen sind streng. Helm und Schutzwesten sind Pflicht. Niemand kommt unbemerkt auf die Baustelle.
Die Anwohner des Quartiers haben sich an den Knall und die Erschütterungen gewöhnt. Reklamationen gibt es kaum, sagt Alexander Liniger, Sprecher der Appenzeller Bahnen. Während der Bauzeit seien Lärm, Staub und Vibrationen nicht zu vermeiden. Die Erschütterungen lägen unter den zulässigen Richtwerten.
Gearbeitet wird von 6 Uhr morgens bis um 22 Uhr abends in zwei Schichten. Pro Arbeitstag würden im festen Fels im Norden rund 4 Meter Molassegestein ausgebrochen, sagt Bauleiter Thomas Looser, der bereits bei der Umfahrung Bütschwil die Tunnelbauten leitete. Im Lockergestein am Südportal kommen die Baggerarbeiten pro Tag rund einen Meter voran.
Der Tunnelbau verlaufe planmässig und ohne Zwischenfälle, so Looser. Der Grundwasserspiegel wurde abgesenkt und das Wasser in sieben Brunnen umgeleitet. Im Norden ist der Trupp bereits über 280 Meter vorgestossen, im Süden, wo später begonnen wurde, rund 15 Meter. Mitte 2017 sollte der Durchstich erfolgen.
Über Tag arbeiten rund zehn Leute, unter Tag sind es nochmals 25. Die Arbeiter stammen aus Österreich, Deutschland oder Italien und sind allesamt Spezialisten auf ihrem Gebiet. “Die Männer leben während der Bauzeit in Wohngemeinschaften in der Stadt”, sagt Liniger. Gearbeitet wird sechs Tage am Stück.
Die Arbeiten für die Durchmesserlinie zwischen Appenzell über die Stadt St. Gallen bis nach Trogen haben vor einem Jahr begonnen. Das insgesamt 90 Mio. Franken teure Projekt soll den Viertelstundentakt bringen und den Einsatz neuer Züge ermöglichen.
Zentraler Bestandteil der geplanten Durchmesserlinie ist in der Stadt St. Gallen der Ruckhaldetunnel zwischen dem Güterbahnhofareal und dem Quartier Riethüsli. Der Tunnel soll 63 Mio. Franken kosten. Das gesamte Ausbruchvolumen beträgt 33’000 Kubikmeter Fels und Lockergestein. Das entspricht rund 500 Schiffscontainern.
Zur Tunnelverkleidung und Abdichtung werden 14’00 Kubikmeter Spritzbeton und Beton verwendet. 600 Tonnen Armierungseisen werden im Tunnel verbaut. Ende 2018 sollte der Betrieb durch den Ruckhaldetunnel aufgenommen werden, sagt Liniger.
Am 4. Dezember wird es ganz still auf der Tunnelbaustelle. Es ist Sonntag und der Gedenktag der heiligen Barbara. Der Glaube an ihre Kraft soll dafür sorgen, dass den Mineuren bei der gefährlichen Arbeit in Tunneln nichts Schlimmes passiert. Die Statue wurde am Eingang des Nordportals in einer Nische platziert.
Der Überlieferung zufolge wurde Barbara im 3. Jahrhundert von ihrem Vater enthauptet, weil sie sich weigerte, ihren christlichen Glauben und ihre jungfräuliche Hingabe an Gott aufzugeben. Da die Heilige der Legende nach von einem Felsen geschützt wurde, der sich öffnete und sie verbarg, wählten die Bergleute sie zu ihrer Schutzpatronin.
Am Ruckhaldetunnel wird am kommenden Sonntag zu Ehren der Märtyrerin eine Messe gelesen. Die Gäste versammeln sich am Nordportal. Die Tunnelpatin, eine Lokführerin der Appenzeller Bahnen, hält das Grusswort.