Wie kann man Gestein so durchlässig machen, dass sich Wasser stark erwärmen kann, es aber zu keinen spürbaren Erdbeben kommt? Dieser Frage gehen derzeit Forscher tief im Innern des Aaremassivs in einem Felslabor am Grimselpass nach.
Die Forscher haben zu diesem Zweck zahlreiche Bohrlöcher in den Granit rund um das Labor bohren lassen und Hunderte von Sensoren in den Löchern und an den Stollenwänden verteilt. Diese zeichnen kleinste Bewegungen des Gesteins sowie Mikrobeben auf.
Das gaben die Verantwortlichen am Mittwoch bei einer Führung durch das Labor für Medienschaffende bekannt. Seit einem Jahr läuft das Experiment, das nach Angaben der Forscher weltweit einzigartig ist und das nun in die entscheidende Phase kommt.
Nachdem nun nämlich die Struktur des Gesteins auf 1730 Metern Höhe den Forschern genauestens bekannt ist und alle Instrumente getestet sind und funktionieren, wollen sie in zwölf Versuchen den Fels “stimulieren”, wie Projektleiter Florian Amann von der ETH Zürich das nennt.
Getestet werden zwei Verfahren: Das sogenannte “Hydro Shearing”, bei dem Wasser mit hohem Druck zu existierenden Brüchen im Fels gepumpt wird, und das sogenannte “Hydro Fracturing”, bei dem intakter Fels aufgebrochen werden soll.
Solche Prozesse sind nötig, damit Geothermie funktionieren kann: Bei solchen Kraftwerken wird nämlich kaltes Wasser mit hohem Druck tief in den Untergrund zu heissen Gesteinsschichten gepumpt. Dort fliesst es durch Risse, erwärmt sich und wird wieder nach oben gepumpt. Danach folgt an der Erdoberfläche die Stromproduktion.
Im Labor am Grimselpass wird maximal ein Kubikmeter Wasser pro “Injektion” verwendet – 11’500-mal weniger als in Basel, wo vor zehn Jahren Probebohrungen ein Erdbeben der Stärke 3,4 auslösten und danach ein Geothermie-Projekt abgebrochen wurde.
Beim Experiment werde es zu Beben kommen, welche ein Mensch gar nicht spüre, versichert Projektleiter Amann. Nur die hochsensiblen Geräte registrierten sie.
Die Kraftwerke Oberhasli AG, deren Staudämme sich in der Nähe des Felslabors stehen, und die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), der das Labor gehört, haben grünes Licht für das Experiment gegeben.
Das Experiment “In-situ Stimulation and Circulation”, wie sein offizieller Name heisst, muss nun also nur noch durchgeführt und ausgewertet werden. Doch Projektleiter Amann liess sich am Mittwoch inmitten von nackten Felswänden, Computern, anderen elektronischen Geräten und vielen Kabeln schon eine Prognose entlocken.
Er sei “sehr zuversichtlich”, dass die Geothermie künftig die ihr von der Energiestrategie 2050 zugedachte Rolle einnehmen könne, sagte er. Fünf bis zehn Prozent des Schweizerischen Elektrizitätsbedarfs sollen geothermische Kraftwerke dereinst bereitstellen.
Ueli Wieland, Leiter des Schweizer Kompetenzzentrums für Energieforschung im Bereich Strombereitstellung (SCCER-SoE), sagte, heute gehe man von ganz anderen Geothermie-Konzepten aus als beim 2006 abgebrochenen Basler Projekt.
Heute beabsichtige man, das hinuntergepumpte Wasser etappenweise in Risssystemen zu erwärmen, nicht in einem einzigen, grossen “Klumpen” wie in Basel. Unter der Schirmherrschaft des SCCER-SoE sind Forscher zahlreicher Institutionen wie etwa der ETH Zürich für das Grimsel-Experiment verantwortlich.
Doch lassen sich denn die im Aaremassiv gewonnenen Erkenntnisse auf Böden unter Städten wie Basel, St. Gallen und Genf übertragen? Ja, sagt Amann: In der Schweiz befänden sich überall unter einer massiven Sedimentschicht kristalline Gesteinsschichten.
Dort unten, in 200 Grad heissem Gestein und in 5000 Metern Tiefe, finde die für die Elektrizitätsgewinnung vielversprechende petrothermale Wassererwärmung statt.
“Die Testresultate werden für die ganze Schweiz brauchbar sein”, sagt Amann. Die Erkenntnisse stünden schon bald für neue Geothermieprojekte bereit.