Rio ist gerade nicht bekannt für gute Nachrichten: Fast pleite, der Küsten-Radweg eingestürzt, wenig Vorfreude auf Olympia. Aber in einer Favela funktioniert seit einiger Zeit eine innovative Lösung, um auch abends Fussball zu spielen.
In der Favela Morro da Mineira sind auffallend viele Häuser türkisfarben angestrichen. Von weitem kleben dutzende Gebäude wie übereinandergestapelte Schachteln am Berg. Alle türkis.
Der Legende nach versteckte sich hier, in der Armensiedlung nahe dem Sambódromo im Zentrum von Rio de Janeiro, ein bekannter Drogenboss. Die Polizei bekam einen Tipp, er sei in einem türkisfarbenen Haus zu finden. Die Bewohner bekamen Wind von der nahenden Polizeioperation und in Windeseile wurden zig Häuser in der “Tarnfarbe” angemalt.
Aber heute macht Morro da Mineiro mit einer anderen Sache in der Olympiastadt von sich reden. Es geht verwinkelte Strassen hoch, Müll liegt herum, streunende Hunde. Der Tag neigt sich dem Ende zu.
Wie ein Ufo, das vom Himmel gefallen ist, liegt umgeben von übereinander gebauten Häuschen ein grell beleuchteter grüner Kunstrasenplatz. Es gibt eine Steintribüne und sechs Flutlichtmasten. So weit, so normal.
Doch unter dem Grün sind 200 Kinetik-Platten verbaut worden, die sieben Watt Strom erzeugen können, wenn die Spieler darüber laufen. In der Stadt, wo im August die Olympischen Spiele eröffnet werden und wo für viel Geld neue Stadien gebaut worden sind, ist das eine simple Lösung eines Energieproblems, wie es gerade in den Armenvierteln verbreitet ist.
Jeder Schritt wird automatisch in elektrische Energie umgewandelt, Strom produziert und in einem Speicher am Rande des Fussballplatzes gespeichert. “Wenn wir nicht spielen, geht das Licht irgendwann aus”, sagt Jackson Peçanha, der hier der Platzwart ist.
Die gespeicherte Energie reiche meist für zwei Stunden. So kann hier jeden Abend gespielt werden, die fehlende Energie oder Stromausfälle, die das zuvor unterbanden, gehören der Vergangenheit an.
Die Kinder machen Purzelbäume, selbst das erzeugt Energie. Immer abends – von 20 Uhr an – wird der Platz bevölkert und die Fussballer vergessen irgendwann, dass sie hier ein laufendes Kraftwerk sind. Als Backup sind noch Solarpanels auf dem Tribünendach. Immer sonntags gibt es ein Turnier.
Nenel Silva ist Präsident der Mannschaft “Tirol”. Woher der Name – kennt er die Region in Österreich? “Nein, noch nie von gehört. Wir waren auf der Suche nach einem Namen und es gibt hier in der Nähe ein Viertel, das so heisst.”
Er koordiniert den Spielbetrieb, vor allem die Turniere. Abends zum spontanen Kicken trommelt er seine Leute per WhatsApp zusammen. “Wir waren die ersten, jetzt gibt es so einen Platz auch in Nigeria”, sagt Silva. “Das ist revolutionär. Unser Platz ist nun sehr bekannt, alle wollen hier spielen.”
Zur Eröffnung 2014 kam sogar Brasiliens Fussballlegende Pelé – seither funktioniert die Technik nach Angaben der Kicker ohne Probleme. Ein Öl-Multi finanzierte die Energie-von-Morgen-Idee. Über die Kosten schweigt man sich aus – massenkompatibel scheint die Lauf-Energie bisher noch nicht zu sein – sonst gäbe es mehr dieser Projekte.
Nachfrage beim britischen Unternehmen Pavegen, dessen Gründer Laurence Kemball-Cook mit der Platten-Idee die Energieversorgung revolutionieren will. “Sobald die Technologie einem Preis von Standardplatten entspricht, können wir einen wesentlichen Beitrag zur Energieerzeugung liefern”, sagt Sprecherin Sanaa Siddiqui in London. “Das Potenzial für die kinetische Energie im städtischen Umfeld, wo es jede Woche Millionen von Schritten gibt, ist riesig.”
Rund 100 Projekte hat man realisiert, neben dem weiteren Fussballplatz in Lagos auch am Flughafen London Heathrow, wo das Licht in einem Terminalteil durch Schritte der Passagiere erzeugt wird.
Wenn die Technologie sich durchsetzt, würde sie auch enorme Datenmengen liefern können; wo sich wann wie viele Menschen bewegen. Die Verbindung von Sport und Stromerzeugung im Boden wie in Rio könnte eine Zukunftsoption sein: In den Niederlanden gibt es auf einem Radweg in Krommenie einen 70 Meter langen Abschnitt mit Solarzellen unter Glasplatten. In einem Jahr wurde immerhin so viel Solarenergie produziert, um drei Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen.